Steigende Agrarpreise:
Welche Rolle spielt der Krieg gegen die Ukraine?
TFFA e. V.
Thaer Forum für Agrikultur e. V.
Thaer Forum for Agriculture e. V.
Harald von Witzke
Der Krieg gegen die Ukraine ist einhergegangen mit deutlichen Steigerungen der Preise für Agrar- und Nahrungsgütern. Die Ukraine hat sich seit dem Ende der Sowjet Union zu einer bedeutenden Exporteurin wichtiger Agrarrohstoffe wie etwa Weizen, Mais oder Sonnenblumen entwickelt. Seit Anfang des Jahres 2022 sind die Agrarpreise rasant angestiegen. Der kriegsbedingte Ausfall der Agrarexporte der Ukraine kann das Ausmaß der beobachteten Anstiege der Agrarpreise nur zum Teil erklären. Vielmehr hat der Krieg indirekt die Weltagrarwirtschaft insgesamt beeinträchtigt und die Inflation der Preise für Agrarrohstoffe und Nahrungsgüter ausgelöst.
Die wohl bedeutendsten Vernichter des land- und gesamtwirtschaftlichen Potentials eines Landes sind Gewalt durch Krieg, Bürgerkrieg sowie undemokratische und korrupte Regierungen, weil sie das Produktionspotential der beteiligten Länder zerstören. Die Neue Welt der Landwirtschaft zeichnet sich dadurch aus, dass die auch ohne den Angriff audf die Ukraine ohnehin zunehmenden Knappheiten von Nahrung und Naturkapital noch durch Krieg in Europa amplifiziert wird. Der Krieg in der Ukraine hat diese Entwicklung vor allem für die Ukraine, aber auch für die Welt insgesamt auf dramatische Weise verstärkt. Im Jahr 2000 lag der Preis für Weizen bei US$ 2,50 je Bushel. Bis zum Ausbruch des Ukrainekriegs Anfang des Jahres 2022 war dieser Preis auf US$ 5,00 gestiegen. Vier Monate später lag er mit US$ 8,50 mehr 3 mal so hoch wie zur Jahrtausendwende.
Die Ukraine gehört mit 0,74 ha Ackerfläche je Person zu den Ländern mit der reichsten Ausstattung produktiven Ackerlands in der Welt. Zum Vergleich: Die Ackerfläche je Person der USA liegt bei 0,48 ha und die Deutschlands bei 0,14 ha. Es wundert daher wenig, dass sich die Ukraine nach dem Ende der Sowjet Union zu einem der wichtigsten Agrargüter produzierenden und exportierenden Länder der Welt entwickelt hat (Tabelle 1). Angesichts der dominanten Position der Ukraine auf dem internationalen Markt für Sonnenblumen und deren Produkte war es daher wenig überraschend, dass schon sehr bald nach Ausbruch des Ukraine Kriegs die Regale des deutschen Lebensmitteleinzelhandels von Sonnenblumenöl leergefegt waren.
Tabelle 1: Die Bedeutung von Produktion und Exporten der ukrainischen Landwirtschaft 2021/22
Markt | Produktion (1.000 t) | Rang unter den Produktions-ländern | Anteil an Weltproduktion (%) | Exportmenge (1.000 t) | Rang unter den Exportländern | Anteil an Weltpexporten |
Mais | 41.000 | 6 | 3,5 | 23.000 | 4 | 12 |
Weizen | 33.000 | 7 | 4,3 | 19.000 | 3 | 9 |
Sonnen-blumenkerne | 17.500 | 1 | 30,6 | 75 | 9 | 3 |
Sonnenblumen-öl | 5.676 | 2 | 30,6 | 4.950 | 1 | 46 |
Sonnenblumen- schrot | 5.452 | 2 | 27,5 | 4.100 | 1 | 54 |
Rapssaat | 3.005 | 6 | 4,2 | 2.700 | 3 | 20 |
Gerste | 9.900 | 4 | 6,8 | 5.800 | 3 | 17 |
Quelle: USDA-FAS (2022)
Tabelle 2: Ausgewählte Agrarexporte der Ukraine, Juni 2021 und 2022 (1000 t)
Markt | Juni 2021 | Juni 2022 | % Veränderung zu 2021 |
Mais | 1.700 | 1.010 | -41 |
Weizen | 662 | 138 | -79 |
Sonnenblumenkerne | . | 540 | . |
Sonnenblumenöl | 315 | 267 | -15 |
Sonnenblumenschrot | 265 | 93 | -65 |
Gerste | 73 | 26 | -64 |
Quelle: Neuigkeiten des Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialogs 20/2022.
Gleichzeitig begannen schon bald nach Ausbruch des Krieges die Preise vieler Agrarrohstoffe und der daraus gewonnenen Nahrungsgüter stark zu steigen. Zwar sind die Läger der wichtigsten Agrarprodukte in der Ukraine wohlgefüllt. Allerdings haben sich die Exporte der Ukraine stark verringert (Tabelle 2). Dies ist auch nicht verwunderlich, wurden doch die Infrastruktureinrichtungen für Agrarexporte wie insbesondere die Schwarzmeerhäfen schon bald nach Kriegsbeginn durch Bombardierungen oder Verminungen der Häfen stark beeinträchtigt.
Auch die Produktion in der gegenwärtigen Vegetationsperiode ist vom Krieg betroffen. Die Frühjahrsaussaat war geringer als geplant. Zum einen fehlen all diejenigen Arbeitskräfte, die nicht mehr für die Landwirtschaft verfügbar sind, weil sie in der Landesverteidigung eingebunden sind. Sie fehlen nicht nur in der Agrarproduktion, sondern auch in den der Landwirtschaft vor und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche. Zum anderen sind oft Produktionsmittel, wie Dünger, Pflanzenschutz oder Diesel für die Landmaschinen deutlich teurer geworden und entweder nicht im erforderlichen Maß verfügbar oder nicht zu finanzieren. Darüber hinaus können viele Flächen im Südosten des Landes wegen Verminung nicht genutzt werden. Auch die für die Landwirtschaft wichtige Infrastruktur für Transport und Lagerung ist nur eingeschränkt verfügbar und die für die kommende Ernte erforderlichen Läger sind zu einem Großteil gefüllt.
Natürlich sind hierdurch auch die Exporte der Landwirtschaft der Ukraine sehr stark beeinträchtigt worden. Am Beispiel des Weizens lässt sich anschaulich demonstrieren, dass der weitgehende Ausfall der Exporte seitens der Ukraine aber nur einen Teil des seit Beginn des Kriegs beobachteten Preisanstiegs erklären kann. Unter den gegebenen Marktverhältnissen (Preiselastizität der Nachfrage = -,03 und Anteil der Ukraine an der Weltproduktion von 4,3%) wäre selbst bei einem Totalausfall der Produktion in der Ukraine lediglich mit einer Preissteigerung bei Weizen von etwas mehr als 13% zu rechnen. Es hat also noch andere Faktoren gegeben, die den starken Anstieg der Agrarpreise erklären und die zumindest nicht direkt mit dem kriegsbedingten Geschehen in der ukrainischen Landwirtschaft zu tun haben – und dies sind Faktoren, die für die Weltlandwirtschaft insgesamt von Bedeutung sind.
Wenn die Agrarpreise stark steigen bzw. hoch sind hört man regelmäßig das Argument, dass Spekulanten die Preise getrieben haben und man doch zur Vermeidung solcher Preisausschläge den Terminhandel auf den Börsen für Agrarprodukte verbieten sollte. Abgesehen davon, dass die Abschaffung aller Termingeschäfte auf den Agrarmärkten der Welt illusorisch ist, sprechen sowohl theoretische Überlegungen als auch die empirische Evidenz dagegen.
Die These, dass Spekulanten die Preise an den landwirtschaftlichen Terminbörsen bestimmen, trifft ganz einfach nicht zu. Spekulanten machen keine Preise. Sie folgen den Märkten, denn sie wollen mit ihren Transaktionen an den Börsen Geld verdienen. Das gelingt den Spekulanten jedoch nur dann, wenn sie die zukünftigen Marktentwicklungen richtig vorhersagen. Spekulanten, denen dies nicht gelingt, machen Verluste und sind schnell vom Markt verschwunden. Darüber hinaus sind Spekulanten für das Funktionieren der Märkte notwendig. Terminmärkte haben nämlich auch die Funktion der Preissicherung. Landwirte können sich dort gegen niedrige Preise absichern und die Abnehmer von landwirtschaftlichen Produkten gegen hohe Preise. Spekulanten übernehmen diese Risiken. Wenn sie diese Risiken richtig einschätzen, verdienen sie auch Geld. Das, was die Spekulanten verdienen ist die Versicherungsprämie.
Der starke Ausschlag auf den Agrarbörsen in 2007-08 wurde zum einen auf Spekulation zurückgeführt und zum anderen auf das Wachstum der Anbauflächen für Bioenergiepflanzen. Beides stellte sich als falsch heraus. Empirische Analysen des genannten Preisausschlags ergaben, dass sich dieser nahezu vollständig durch lediglich zwei Variablen erklären ließ. Dies war zum einen der zu jener Zeit stark gestiegene Preis für Energieträger (incl. Rohöl). Zum anderen waren es die ebenfalls stark gestiegenen Frachtraten, die auch – aber nicht nur eine Funktion des Preises für Energie sind. Zusätzlich gibt es auf dem Markt für Transportleistungen einen Preiszyklus.
Schaubild: Ölpreis und FAO Food Price Index 2004-2022 (2022: Juni)
Quelle: H. von Witzke, 2022 (in Vorbereitung).
Schaubild 1 zeigt, wie sehr eng der Zusammenhang zwischen Ölpreis und den Agrarpreisen, ist. Dies ist ein relativ neues Phänomen. Die moderne Landwirtschaft ist, wie viele andere Wirtschaftsbereiche auch, ziemlich energieintensiv. Der Preis von Öl war daher schon immer ein wichtiger Bestimmungsfaktor der Agrarpreise – aber einer von mehreren – und zwar solange der Preis unter 50 US$ je Fass gelegen hatte. Erst als der Ölpreis nach der Jahrtausendwende begann, auf über 50 US$ zu steigen zeigte sich der in Schaubild 1 gezeigte sehr enge Zusammenhang.
Der Rohölpreis (WTI/Brent) lag Anfang des Jahres 2022, als der Aufmarsch der russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine begann wahrgenommen zu werden, noch bei 70 US$ je Fass. Als über die ersten die Kampfhandlungen berichtet wurde, war der Preis bereits auf US$ 90 je Fass gestiegen. Im Juni lag er zeitweise sogar bei über 120 US$ je Fass.
Energie ist ein wichtiger Faktor, der direkt und indirekt die Kosten der Agrarproduktion und damit die Produktionsentscheidungen beeinflusst. So wird Energie benötigt für den Betrieb der Landmaschinen wie Traktoren für den Transport, die Bodenbearbeitung, das Ausbringen und die Pflege der Saat sowie die Ernte. Auch das gegebenenfalls notwendig werdende Trocknen der geernteten Feldfrüchte erfordert den Einsatz von Energie. Hinzu kommt, dass auch die Herstellung der landwirtschaftlichen Produktionsmittel viel Energie erfordert. Landmaschinen enthalten viel Stahl wie z. B. Pflüge oder Grubber für die Bodenbearbeitung sowie Mähdrescher und Traktoren. Stahl ist indes in der Herstellung sehr energieintensiv. Ähnliches gilt für synthetische Stickstoffdünger. Diese werden mit dem sog. Haber-Bosch-Verfahren hergestellt, wofür viel Energie benötigt wird. Die gestiegenen Kosten der Landwirtschaft führten daher zu höheren Preisen für Agrarrohstoffe und Nahrungsgüter. Bei Stickstoffdüngern kam hinzu, dass selbst die wegen der gestiegenen Preise verringerte Nachfrage wegen Lieferverzögerungen nicht immer voll befriedigt werden konnte. Auch die international gestörten Lieferketten haben es Landwirten nicht gerade leicht gemacht, die Arbeitsabläufe zeitgerecht zu erledigen, z. B. wenn Ersatzteile, incl. elektronischer Komponenten, nicht zeitgerecht beschafft oder bestellte Landmaschinen nicht ausgeliefert werden konnten. Ein weiterer die Agrarpreise nach oben treibender Effekt besteht darin, dass manche Länder ähnlich wie 2008-09 damit begonnen haben Agrarexporte zu beschränken in dem Versuch, die heimische Bevölkerung vor der Agrarpreisinflation zu schützen.
Angesichts dieser Entwicklungen, die die Agrarsektoren weltweit betroffen haben, ist es daher wenig verwunderlich, dass die Preise auf den internationalen Märkten weit stärker gestiegen sind, als allein aufgrund des Ausfalls erheblicher Teile der ukrainischen Landwirtschaft erwartet werden konnte. Der Angriff auf die Ukraine hart also nicht nur Produktion und Export der Landwirtschaft der Ukraine beeinträchtigt, sondern weltweit Auswirkungen gezeitigt – zu Lasten der armen und hungernden Menschen auf der Welt.
Über den Autor
Der Autor ist Professor a. D. der Humboldt Universität zu Berlin und Mitglied des Vorstands des Thaer Forums für Agrikultur e. V.