TFFA Agrarbriefing 01-2023

Der VW Dieselskandal lässt grüßen:
Irreführende Messung der ökologischen Nachhaltigkeit der Landwirtschaft

TFFA e. V.

Thaer Forum für Agrikultur e. V.

Thaer Forum for Agriculture e. V.

Harald von Witzke

Die moderne Landwirtschaft in Deutschland, der EU und anderswo steht in der Kritik, weil sie erheblich zu Emissionen von Klimagasen auf den von ihr bewirtschafteten Flächen beiträgt. Nahezu 30 % der Arbeitskräfte der Welt sind allein mit der Produktion agrarischer Rohstoffe beschäftigt. Daher ist es auch nicht überraschend, dass das Intergovernmental Panel on Climate Change (2019) zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Landwirtschaft erheblich zum Klimawandel beiträgt. Dabei sind zwei Quellen agrarischer Emissionen von Bedeutung. Die eine besteht in den Emissionen auf den bereits genutzten Flächen von etwa 1,6 Mrd. ha und wird auf 6,2 Mrd. t CO2 Äquivalenten CO2e pro Jahr geschätzt. Dies entspricht etwa 4 t CO2e je ha. Die direkten Klimagasemissionen je ha in Deutschland weisen eine ähnliche Größenordnung auf. Die andere Quelle landwirtschaftlicher Emissionen resultiert aus den jährlichen Ausweitungen der weltweiten landwirtschaftlichen Flächen von geschätzten 4,5 Mio. ha und wird vom IPCC mit 4,9 Mrd. t CO2e angegeben. Das entspricht nahezu 80 % der Emissionen auf den bereits genutzten landwirtschaftlichen Flächen.

Die Klimagasemissionen der jährlichen  Flächenausdehnungen betragen je ha also ein großes Vielfaches der Emissionen auf den bereits genutzten Flächen. In der Literatur finden sich Angaben, die zwischen 180 und mehr als 1000 t CO2e je ha liegen. Als Punktschätzung für die gesamten Emissionen der Landwirtschaft werden vom IPCC 11,1 Mrd. CO2e angegeben. Dies entspricht 21.5 % der weltweiten jährlichen Klimagasemissionen. Damit emittiert die Landwirtschaft je Arbeitskraft allerdings weniger Klimagase als der Durchschnitt aller Wirtschaftsbereiche der Welt.

Dennoch ist der Beitrag der Landwirtschaft zu den weltweiten Klimagasemissionen signifikant. Es ist daher sachgerecht, dass die Politik auch von der Landwirtschaft in Deutschland einen Beitrag zum Klimaschutz erwartet. Allerdings liegt der Fokus der Politik und der öffentlichen Debatte in Deutschland bzw. der Europäischen Union allein auf den Emissionen der heimischen Flächen. Instrumente der Politik, die zu einer Verminderung dieser Emissionen führen sollen, sind u. a. die Subventionierung der  Ökolandwirtschaft sowie der Plan der EU für ein sog. Greening der Agrarproduktion.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter Leitung des Grünen Ministers Özdemir äußert sich dazu in einer Veröffentlichung vom 05.08.2022:

„Der ökologische Landbau ist das Leitbild der Bundesregierung für eine nachhaltige Landbewirtschaftung.“

Dasselbe Bundesministerium schreibt dazu im Jahr 2020 unter CDU Ministerin Klöckner:

Der ökologische Landbau ist eine besonders ressourcenschonende und umweltverträgliche Wirtschaftsform, die sich am Prinzip der Nachhaltigkeit orientiert.“

Nach nahezu einhelliger Auffassung der Politik ist die Ökoproduktion der Königsweg zur Erreichung einer nachhaltigen Landwirtschaft. Die Begründungen der Bundesregierung, der EU Kommission sowie der Zukunftskommission Landwirtschaft basieren auf dem Konzept der externen Kosten der Agrarproduktion. Damit ist gemeint, dass die Herstellung von Agrargütern Kosten für die Gesellschaft verursacht, die aber nicht von den verursachenden Produzenten getragen werden, sondern von der Gesellschaft insgesamt. Emissionen von Klimagasen seitens der Landwirtschaft in Deutschland sind solche externen Kosten, denn sie werden nicht von der verursachenden Landwirtschaft, sondern in Form von Klimawandel von allen Menschen auf der Welt getragen – also nicht nur in Deutschland. Wenn man lediglich die Emissionen aus heimischen Quellen betrachtet, gelangt man tatsächlich zu dem Ergebnis, dass die Ökolandwirtschaft auf den heimischen Flächen weniger Klimagase emittiert, weil sie (über alle Produkte hinweg) nur etwa 50 % des Flächenertrags der modernen Landwirtschaft erzielt. Dabei wird allerdings für die gleiche Produktionsmenge etwa doppelt so viel Fläche benötigt.

Das in diesem Zusammenhang von den Befürwortern einer weniger produktiven Landwirtschaft zu Recht bemühte Konzept der externen Kosten endet aber nicht an gebietskörperschaftlichen Grenzen, wie der Grenze Deutschlands oder der Außengrenze der EU. Genau das ist ja das Konzept der externen Kosten, nämlich dass man zur Beurteilung der Kosten alle durch private, unternehmerische oder politische Aktionen verursachten Effekte betrachten muss, wenn man zu sachgerechten Entscheidungen gelangen will. Dazu gehört natürlich nicht nur, was man im eigenen Land emittiert, sondern auch, was die eigenen politischen Entscheidungen außerhalb der eigenen Grenzen an Emissionen verursachen und wie diese auf die globale Klimaallmende insgesamt zurückwirken.

Bis zur Jahrtausendwende war man seitens der Politik der Auffassung, dass die Welt deutlich zu viel Land in der Agrarproduktion hatte. Deshalb ist es auch aus heutiger Sicht verständlich, dass in der Europäischen Union, den USA und anderswo  Subventionen für die Verringerung der Agrarproduktion auf den bewirtschafteten Flächen oder gar für die vollständige Stilllegung von Flächen gezahlt wurden. Da man damals der Auffassung war, dass mehr als genug Boden für die landwirtschaftlichen Produktion vorhanden ist, hatte man auch keine beschleunigte Ausdehnung  der weltweiten Agrarflächen zu befürchten, wenn die heimische Produktion reduziert wurde. Im neuen Zeitalter der Knappheit an Boden für landwirtschaftliche Zwecke ist dies allerdings ganz und gar nicht mehr der Fall.

Der rasch wachsende Bedarf der Welt an Nahrung muss auf immer weniger Fläche je Person befriedigt werden. Derzeit steht je Person im Weltdurchschnitt noch knapp die Hälfte eines FIFA Fußballfelds als Ackerland zur Verfügung. Im Jahr 2050 wird es wohl nicht viel mehr als das Äquivalent der beiden Strafräume sein.

Eine Verminderung der heimischen Produktion in Deutschland oder der EU ändert natürlich nichts am Bedarf der Welt an Nahrung. Vielmehr steigen durch eine Minderproduktion in Deutschland bzw. der EU die Anreize in anderen Teilen der Welt diesen Produktionsausfall durch Mehrproduktion auszugleichen. Typischerweise geschieht dies durch Entwaldung (Brandrodung) oder das Umbrechen von Gras- in Ackerland, wobei je ha ein großes Vielfaches an Klimagasen freigesetzt wird wie auf den bereits bewirtschafteten Flächen. Gleichzeitig gehen so natürliche Lebensräume und deren Biodiversität verloren.

Die direkte Landnutzungsänderung in Form einer verringerten heimischen Produktion führt also indirekt zu einer Änderung der Landnutzung in anderen Teilen der Welt insgesamt. Man spricht in diesem Zusammenhang daher von indirekter Landnutzungsänderung.

Anders als die von der Agrarpolitik in Deutschland und in der EU sowie der Zukunftskommission Landwirtschaft immer wieder angeführten externen Kosten der Agrarproduktion, enden diese aber  nicht an den jeweiligen Außengrenzen, sondern verursachen auch in anderen Ländern und, im Fall des Klimawandels, auch weltweit zusätzliche Kosten für die Gesellschaft – also auch in Deutschland bzw. der EU. All dies bedeutet ganz einfach, dass die Politik die Nachhaltigkeit der heimischen Agrarproduktion falsch misst, indem nur die lokalen externen Kosten an der Quelle der Emissionen gemessen werden und diejenigen, die  dadurch in der Welt insgesamt verursacht werden, negiert werden.

Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass jeder Prozentpunkt Rückgang der Produktion in der EU die weltweite Ausdehnung der Flächen um 1,2 Mio. ha beschleunigt. Gleichzeitig gehen 1,2 Mio. ha natürliche oder naturnahe Flächen und ihre Biodiversität verloren. Die zusätzlichen Emissionen liegen bei 220 Mio. t und die Klimakosten bei € 44 Mrd. Allein die Klimakosten je Prozentpunkt Ertragsminderung belaufen sich auf € 400 je ha.

Umgekehrt bedeutet jeder Prozentpunkt Steigerung der Produktion eine Verringerung der weltweiten Flächenausdehnung um 1,2 Mio. ha sowie den Erhalt natürlicher oder naturnaher Lebensräume und deren Biodiversität von ebenfalls 1,2 Mio. ha. Daher würden 220 Mio. t Klimagasemissionen vermieden. Der Klimanutzen für die Welt insgesamt durch die Reduktion der globalen Klimagasemissionen auf dem Weg der Steigerung der Flächenerträge liegt bei € 44 Mrd. und der Klimanutzen je ha bei € 400. Dieser Nutzen von Produktivitätssteigerungen muss der Landwirtschaft korrekterweise auch als Beitrag zum Klimaschutz angerechnet werden. In den Dokumenten des EU Green Deal und auch im Bericht der Zukunftskommission Landwirtschaft werden diese externen Kosten bzw. Nutzen für die Welt insgesamt nicht einmal erwähnt.

Als Konsequenz aus den hier geschilderten Zusammenhängen ergibt sich:

  • Wenn man nur die direkten Emissionen vor Ort betrachtet, erhält man als Resultat, dass sowohl die Ökolandwirtschaft als auch andere politische Maßnahmen, die die Produktion verringern, wie etwa der EU Green Deal, einer produktiven und innovativen Landwirtschaft vorzuziehen ist.
  • Eine solche Einschätzung mag der Politik zu Zeiten des Überflusses in der Weltlandwirtschaft und den Überschüssen in der EU und anderswo plausibel erschienen sein. Im neuen Zeitalter der Knappheit in der Agrarwirtschaft der EU und der Welt insgesamt ist dies methodisch falsch und führt zu Entscheidungen der Politik, die das Gegenteil von dem bewirken (würden), was vorgeblich damit erreicht werden soll.
  • Dies ähnelt sehr dem VW Dieselskandal, bei dem das Unternehmen die Klimagasemissionen ihrer Dieselmotoren falsch gemessen hat und dafür zu Recht bestraft worden ist.
  • Wenn man aber die Klimagasemissionen der Landwirtschaft korrekt misst und die Konkurrenz um den immer knapper werdenden Boden für die Agrarproduktion und die dadurch verursachten weltweiten negativen Effekte auf natürliche Lebensräume, Biodiversität und Klima einbezieht, ergibt sich eindeutig, dass eine durch Produktivitätswachstum und Innovation bestimmte Agrarproduktion zu bevorzugen ist.

Die Messung der externen Kosten durch die Politik ist methodisch inkorrekt. Dies hat fatale Folgen. Nicht nur bewirken diese Wirtschaftsweisen das Gegenteil von dem, was vorgeblich damit erreicht werden soll. Zum anderen werden Konsumenten, Landwirte, Steuerzahler und auch die Medien durch die politische Mär von den positiven Klimawirkungen und anderen Dimensionen der Nachhaltigkeit einer weniger produktiven Wirtschaftsweise  in die Irre geführt.

Nur eine produktive und innovative Landwirtschaft ist wirklich ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig. Sie ist ökologisch nachhaltig, weil sie einen wichtigen Beitrag zum Schutz des Klimas und des weltweiten Naturkapitals leisten kann – insbesondere, wenn die Produkte der molekularen Pflanzenzüchtung zum Einsatz gelangen, mit deren Hilfe u. a. Dünger, Pflanzenschutzmaßnahmen und Boden eingespart werden können. Sie ist ökonomisch nachhaltig, weil die Landwirte entsprechend der Konsumentenpräferenzen produzieren können, anstatt planwirtschaftlicher Vorgaben der Politik. Sie ist sozial nachhaltig, weil sie Nahrung bereitstellt, die sich nicht nur die Wohlhabenden leisten können.

Über den Autor

Der Autor ist Emeritus Professor des Albrecht-Daniel Thaer Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied des Vorstands des Thaer Forums für Agrikultur e. V.