AgrarBriefing 09-2022

Molekulare Pflanzenzüchtung:
Notwendig für Welternährung, Klima und Naturkapital

TFFA e. V.

Thaer Forum für Agrikultur e. V.

Thaer Forum for Agriculture e. V.

Harald von Witzke

Die Landwirtschaft der Welt steht vor zwei großen Herausforderungen, die beide eng miteinander verflochten sind, nämlich dem Klimawandel und der nachhaltigen Sicherung der Nahrungsversorgung der rasch wachsenden Weltbevölkerung bei zunehmend knapper werdendem weltweitem Naturkapital. Die neuen molekularen Methoden der Pflanzenzüchtung haben das Potenzial, einen sehr wichtigen Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen leisten. Die EU jedoch lehnt die molekularen Methoden für die Landwirtschaft ab, während sie in der Pharmazie und der Medizin große Erfolge feiern. Das gefährdet nicht nur die Sicherheit der Nahrungsversorgung der Welt, sondern auch das Klima und das weltweite Naturkapital.

Die Geschichte der Menschheit ist auch die Geschichte von Leid durch Hunger. Im Jahr 1900 gab es auf der Welt etwa 1,5 Mrd. Menschen, von denen wohl zwei Drittel Hunger litten oder mangelernährt waren. Bis 2000 hatte die Weltbevölkerung auf etwas über 6 Mrd. Menschen zugenommen. Allein aus diesem Grund hatte sich der Nahrungsbedarf der Welt in diesem Zeitraum vervierfacht. Hinzu kam ein rasantes Wachstum des Nahrungsverbrauchs je Person – vor allem in den heutigen reichen Ländern.

Der Weltlandwirtschaft ist es in jenem Zeitraum gelungen, den rasch wachsenden Bedarf der Welt zu immer geringeren Preisen und in immer besserer Qualität zu decken. Die Triebkräfte für diesen Erfolg waren Innovationen, die Produktivitätssteigerungen zur Folge hatten. In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts war das Wachstum der Flächenproduktivität derart ausgeprägt, man diese Zeit auch als Grüne Revolution bezeichnet. Möglich wurde diese durch die Arbeiten des Pflanzenzüchters Norman Borlaug am Internationalen Forschungszentrum für Mais und Weizen (CIMMYT) in Mexiko, der im Jahr 1970 hierfür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Ihm war es gelungen, in seinerzeit gängige Weizensorten ein Gen einer zwergwüchsigen Varietät einzukreuzen. Die daraus resultierenden Pflanzen waren deutlich ertragreicher als die alten Standardsorten. Während letztere bei steigenden Gaben von Sickstoffdünger vor allem mit dem Wachstum der Halme reagierten, wodurch diese instabiler wurden, zeichneten sich die neuen Sorten dadurch aus, dass sie auf einen steigenden Einsatz des Pflanzennährstoffs Stickstoff vor allem mit steigendem Körnerertrag reagierten. Die Borlaugschen Sorten setzten sich in großen Teilen der Welt auch deshalb schnell durch, weil der industrielle Einsatz des Haber-Bosch Verfahrens den Stickstoffdünger verbilligt hatte.

Der hohe Wert dieser Innovation zeigte sich auch und gerade in den Entwicklungsländern, in denen das rasante Bevölkerungswachstum bei konstanter Produktivität zu sinkenden Löhnen und Arbeitseinkommen führt. In Regionen, für die anfangs noch keine geeigneten Sorten der Borlaugschen Grünen Revolution verfügbar waren, konnte genau dieses beobachtet werden, nämlich sinkende Arbeits- und steigende Bodeneinkommen. In Regionen, in denen die neuen und ertragreichen Sorten verfügbar waren, stellten sich dagegen trotz rasch wachsender Bevölkerung steigende Arbeitseinkommen ein, während die Bodeneinkommen rückläufig waren. Dies ist eine typische Verteilungswirkung von Innovationen, die den Flächenertrag steigern. Sie wirken, als wäre mehr Boden verfügbar ist. Daher sinken die Bodeneinkommen relativ zu den Arbeitseinkommen. Gleichzeitig steigt die Arbeitsproduktivität, was den Arbeitseinsatz steigert und damit zu höheren Arbeitseinkommen führt.

Die Borlaugsche Grüne Revolution und die seitdem generierten Produktivitätsfortschritte haben dazu geführt, dass der Anteil der Weltbevölkerung, der mangelernährt ist oder Hunger leidet, deutlich abgenommen hat. Dennoch sind derzeit (Herbst 2022) wohl immer noch etwa 1 Milliarde Menschen unterernährt. Dies sind Menschen, die täglich über das Äquivalent von US$ 1,90 oder weniger verfügen und die zwei Drittel oder mehr ihrer kargen Kaufkraft für Nahrungsgüter ausgeben müssen. Noch immer sterben jeden Tag 8000 Kinder direkt oder indirekt an den Folgen von Mangelernährung.

In den reichen Ländern, einschließlich Deutschlands hört man oft das Argument, dass Nahrung eigentlich zu billig sei. Unabhängig davon, dass es an einer substanziellen Begründung für eine solche Aussage fehlt, ist dazu zu sagen, dass der Preis von Nahrung für die armen Menschen der Welt der wichtigste Bestimmungsfaktor ihrer realen Kaufkraft ist. Ohne hinreichende Produktivitätssteigerung wird sich der Bedarf an Nahrung der rasch wachsenden Weltbevölkerung zu Preisen, die sich auch die Armen der Welt leisten können, nicht decken lassen. Was die Welt daher braucht, ist eine weitere Grüne Revolution. Die Folgen des Kriegs gegen die Ukraine haben die Preise für Nahrungsgüter auch in den reichen Ländern in Höhen schnellen lassen, die ernste Sorgen um die heimische Nahrungsversorgung zu erschwinglichen Preisen zur Folge haben.

Weitere signifikante Produktivitätssteigerungen der Weltlandwirtschaft sind notwendig, wenn der Kampf gegen den Hunger in der Welt gewonnen und dabei weltweit Klima und Naturkapital geschont werden sollen. Genau hierzu haben Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, die beiden Nobelpreisträgerinnen für Chemie von 2020 durch ihre Forschungsarbeiten die Voraussetzung geschaffen. Die von Ihnen entwickelte CRISPR/Cas9 Methode erlaubt es nunmehr, auf Chromosomen festgelegte genetische Information wie einen Text zu editieren. Ist irgendwo eine unerwünschte genetische Information vorhanden, so kann man sie einfach ausschneiden und ggf. auch durch eine erwünschte Information ersetzen. Die methodischen Grundlagen dieses Verfahrens haben die Entwicklung weiterer molekulargenetischer Methoden angeregt. So kann man u. a. auch epigenetisch eingreifen, ohne Veränderungen an den Chromosomen vornehmen zu müssen, indem man aktive, aber unerwünschte genetische Information abschaltet und erwünschte aber ruhende Information aktiviert. In der Humanmedizin und der Pharmazie sind diese Verfahren mittlerweile weit verbreitet. Derzeit sind bereits mehr als 300 Arzneimittel mit etwa 200 verschiedenen Wirkstoffen zugelassen – bei rasch weiter steigender Tendenz. Auch Impfstoffe gegen Covid-19 beruhen auf molekulargenetischen Verfahren.

Mit diesen Verfahren könnten auch in der Nutzpflanzenzüchtung große Erfolge erzielt werden. So könnten Pflanzen generiert werden, die den Luftstickstoff verwerten, wie das von Natur aus bei den Leguminosen (z. B. Klee, Luzerne, Bohnen) der Fall ist. Als Resultat könnte die Düngung mit Stickstoff deutlich verringert werden. Auch könnten Pflanzen erzeugt werden, die widerstandsfähig gegen abiotischen Stress sind wie etwa Hitze, Frost, Trockenheit oder Staunässe. Das gleiche gilt für Unempfindlichkeit gegen Pflanzenkrankheiten und -schädlinge, so dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln deutlich verringert werden könnte. Auch könnten Nutzpflanzen geschaffen werden, die die Fähigkeit haben, das Sonnenlicht besser auszunutzen.

Es ist angesichts des erfolgreichen Einsatzes molekulargenetischer Verfahren in der Humanmedizin und der Pharmazie völlig unverständlich, warum die Europäische Union im Bereich Pflanzenzüchtung so restriktiv verfährt, dass mit wenigen Ausnahmen lediglich molekulargenetische Forschung mit Anbau in Gewächshäusern möglich ist aber kein breiter Einsatz in der Erzeugung von Agrarrohstoffen. Mit den Produkten der molekularen Pflanzenzüchtung könnte immer mehr Nahrung in immer besserer Qualität auf weniger Fläche mit immer geringerem Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln bereitgestellt werden.

Dies ist umso wichtiger, als mit der Jahrtausendwende das Zeitalter des Überflusses in der Weltlandwirtschaft zu Ende gegangen ist, wozu nicht nur der Klimawandel sowie das rasche Bevölkerungswachstum beigetragen haben, sondern auch das Wachstum des pro Kopf Verbrauchs an Nahrungsgütern – vor allem in den Entwicklungsländern. Nicht nur sind die agrarischen Rohstoffpreise tendenziell gestiegen, auch das weltweite Naturkapital ist zunehmend knapper geworden. Dies schließt landwirtschaftlich nutzbaren Boden und Wasser ebenso ein wie natürliche Lebensräume und die dort vorkommende Biodiversität. Angesichts dessen ist es erschütternd, dass die Landwirtschaft der Europäischen Union gezwungen wird, weitestgehend auf landwirtschaftliche Technologien zu, die den steigenden Bedarf der Welt an Nahrung und anderen nachwachsenden Rostoffen decken könnten – und das bei verringerter Beanspruchung des Naturkapitals sowie gleichzeitigem Schutz des Klimas durch geringeren Landverbrauch.

Über den Autor

Der Autor ist Professor a. D. des Albrecht Daniel Thaer Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er sich mit Fragestellungen zum Thema Nachhaltige Sicherung der Welternährung befasst. Von 1983-1994 forschte und lehrte er an der Universität von Minnesota in den USA. Danach leitete er bis 2015 das Fachgebiet Internationaler Agrarhandel und Entwicklung am Thaer Institut.